Ich finde das immer so ein bisschen “preaching to the converted”-mäßig. Stella Sommer, Die Heiterkeit
Stella Sommer schiebt die großen Gläser ihrer Sonnenbrille zurecht. “Die Brille kann ich aber schon aufbehalten?” Widerwillig nehmen Sommer und ihre Bandkollegen und -kolleginnen auf dem sonnigen Rasenfleck mit Picknickdecke Platz. Es ist heiß, viel zu heiß, finden Die Heiterkeit, denen eine unterkühlte Haltung auf der Bühne nachgesagt wird. Die in Hamburg gegründete Indie-Band stellt schon vor dem Gespräch klar, dass sie eigentlich lieber über etwas anderes sprechen würde als über “Frauen im Pop”. Sommer pfeift abwesend nach ein paar am Rande der Wiese spielenden Hunden. “Aufklärungsarbeit machen wir schon genug, einfach weil wir Musik machen”, meint sie.
Es ist immer noch wahnsinnig schwierig, sich durchzusetzen. Bernadette La Hengst
Zur gleichen Zeit befindet sich die Musikerin Bernadette La Hengst in noch wärmeren Gefilden, auf einer künstlerischen Expedition zwischen Madrid und Casablanca, um Songs mit europäischen und afrikanischen Gästen aufzunehmen. Seit über 30 Jahren macht La Hengst Musik, war Anfang der 1990er Teil der einzigen komplett weiblichen Band der sogenannten Hamburger Schule: Die Braut Haut Ins Auge. So wirklich viel geändert habe sich seitdem nicht, glaubt La Hengst. Sie hält die Indie-Szene noch immer für eine “Männerdomäne”.
Wenig Frauen auf der Bühne – und dahinter?
Ein Blick in Bestenlisten in Zeitschriften oder die Line-Ups einschlägiger Festivals bestätigt La Hengsts Wahrnehmung einer männerdominierten Musikszene. Bei großen Festivals wie Rock am Ring stand in diesem Jahr nur bei jedem zehnten Act eine Frau auf der Bühne, bei Indie-Festivals wie dem Appletree Garden Festival bei jedem fünften. Das Haldern Pop Festival buchte sogar bei einem Drittel der Bands auch Frauen in ihr Line-Up – allerdings fast ausschließlich als Solomusikerinnen oder Teil einer gemischten Gruppe, in fast keiner Band waren nur Frauen vertreten.
Die Festival-Line-Ups zeigen, dass eine mangelnde Diversität kein alleiniges Problem der Mainstream-Branche ist. Doch wie sieht es jenseits von Festivalprogrammen in der Indie-Szene aus? Wird da, wo man sich eigentlich immer weltoffen, fortschrittlich und diskursfreudig gibt, ohne Klischees und Schubladendenken über Musik gesprochen, unabhängig davon, ob sie von Männern oder Frauen, von homo-, bi-, heterosexuellen oder von Transgender-Artists gemacht wird?
Wir schauen nicht nur auf, sondern auch hinter die Bühnen, blicken in Labelbüros, Musikredaktionen und hinter die Mischpulte.
Die Heiterkeit
An jenem viel zu heißen Sommertag im September werden Die Heiterkeit das zweite Konzert ihrer Tour in Köln spielen, am selben Tag wie die Gruppe Unheilig, die am Nachmittag ihren angeblich letzten Auftritt gibt und für mit Unheilig-T-Shirts verstopfte Bahnen Richtung Rheinenergiestadion sorgt.
Die Heiterkeit – Für den nächstbesten Dandy (via Soundcloud)
Neben diesem Tourdaten-Zufall und einer Silbe im Bandnamen haben Unheilig und Die Heiterkeit herzlich wenig gemeinsam. Vielleicht noch die Vorliebe für schwarze Kleidung und dass sie ihre Texte auf Deutsch singen, aber diese Vergleiche verbieten sich. Statt gedankenloses Pathos lassen Die Heiterkeit doppelbödige Schwermütigkeit walten. Ihr lakonischer und poetischer Pop sorgt vor allem bei Kritikern für Lobeshymnen. Für Spiegel Online ist das neue Doppelalbum der Hamburger Band “Pop & Tod I + II” “eine Offenbarung”, der Deutschlandfunk hält es für ein “zeitloses Werk”und für Die Zeit erheben Die Heiterkeit darin “ihre Lustlosigkeit zur Kunstform”.
Lustlosigkeit herrscht bei Die Heiterkeit auch im Bezug auf das Interviewthema. „Wir machen Musik, genau wie Männer auch“, meint Hanitra Wagner, die dieses Jahr als Bassistin neu zur Band dazu gestoßen ist. Gerade das “Alleinstellungsmerkmal Frau” missfällt ihr. Am besten also gar nicht darüber reden? Soweit gehen Die Heiterkeit dann doch nicht und erzählen, wie sie zu Zuschreibungen wie Frauenband stehen, von Erfahrungen mit Sexismus und wer der “schlechteste Musiker der Band” ist.
Weil wir wütend sind auf eine Gesellschaft, die uns sagt, Mädchen = blöd, Mädchen = böse, Mädchen = schwach. Riot Grrrl-Manifesto
Während die Heiterkeit dem Ungleichgewicht von Frauen und Männern im Pop gelassen gegenüberstehen und es am liebsten gar nicht mehr thematisieren würden, nehmen sich andere Künstlerinnen wie Sleater Kinney, Le Tigre oder auch Lady Gaga des Themas an. Die meisten dieser Musikerinnen beziehen sich dabei auf die feministische Riot Grrrl-Bewegung, die ihre Wurzeln in der Punk-Szene der frühen 1990er hat. Pop generiert seine Tiefe gerne aus solchen subversiven Bewegungen, weil sie neu, interessant, originär und unverbraucht sind. Man nehme nur Punk oder Hip Hop zum Beispiel, die sich in den 1980er Jahren von Bewegungen zu Genres wandelten.
Authentizität vs. Marketingmasche
Einerseits können Entwicklungen wie diese dazu führen, dass Bewegungen zu Marketing-Gags werden und die eigentlichen Aussagen dabei flöten gehen. Andererseits können sie aber auch bewirken, dass die Künstlerinnen und Künstler ein größeres Publikum ansprechen und wachsen können.
Bei den Riot Grrrls ist beides eingetreten. Die Musikindustrie machte aus dem aggressiven Begriff Grrrls einfach Girlies. Auf der anderen Seite würde heute wahrscheinlich weniger über die Interessen von Frauen im Musikbusiness geredet werden, wäre die Popkultur nicht auf sie aufmerksam geworden.
Frauen in Labels
Vielleicht wäre Tess Rochholz ohne Revolution Girl Style und Girl Power nicht da gelandet, wo sie heute ist. Als Studentin wurde sie durch ein Fernsehinterview bei einem Festival vom Gründer des Indie-Labels AdP Records entdeckt und stieg dort innerhalb weniger Jahre in die Spitze auf. Als Labelmanagerin entschied Rochholz jahrelang, welche Bands das Label vertrat und welche nicht. Neben den bekannteren, rein männlich besetzten I Heart Sharks und I’m Not A Band sind mit Marla Blumenblatt, Ginger Redcliff und Kat Vinter auch einige Musikerinnen bei dem Label – allesamt Solo-Künstlerinnen. Rochholz hätte gerne noch mehr Musikerinnen im Repertoire. Passe eine Musikerin oder eine weiblich besetzte Band zu AdP, dann nehme sie diese sofort unter Vertrag.
Bis September war Rochholz Vorstand beim Branchen-Verband Unabhängiger Musikunternehmen VUT und hat dort die Initiative Music Industry Women ins Leben gerufen, um Frauen in der Musikszene besser zu vernetzen und zu fördern. Wie ihre männlichen Kollegen wird sie trotzdem nicht immer behandelt, erzählt sie uns im Interview. Frauen würden meist unterschätzt, meint Rochholz, allerdings täten sie das oft auch selbst. Ihnen fehle es häufig an Selbstbewusstsein.
Alltagssexismus ist unschön, aber ich nehme das nicht sehr persönlich. Tess Rochholz
Tess Rochholz hat es mit Mitte 20 schon in eine Führungsposition gebracht. Das ist in der Musikwirtschaft nicht typisch, wobei das Besondere nicht nur ihr Alter ist. Die CEOs der drei größten Majorlabels weltweit heißen Stephen Cooper (Warner Music), Lucian Grainge (Universal Music) und Doug Morris (Sony Music) – allesamt Männer – und das, obwohl bei der Gesamtheit der Labelangestellten das Geschlechterverhältnis bei der letzten Erhebung 2013 relativ ausgeglichen war.
Weniger Gehalt für wenige Frauen
Im Unterschied zu anderen Branchen arbeiten viele Menschen in der Musikwirtschaft nicht in einem Nine to five-Job, sondern selbstständig. Laut einem Bericht des Bundestags sind es beispielsweise bei den Musikern knapp die Hälfte – und damit fünf mal mehr, als in anderen Bereichen. 2015 war der Frauenanteil unter den Selbstständigen insgesamt ähnlich hoch wie bei den Labelangestellten, laut statistischem Bundesamt lag er bei 40 %. Allerdings verdienen die weiblichen Selbstständigen, die derzeit bei der Künstlersozialkasse erfasst sind, fast ein Viertel weniger als ihre männlichen Kollegen.
Langfristig seien Frauen und Männer in der Selbstständigkeit ähnlich erfolgreich und trotzdem zweifelten sie eher an ihren Fähigkeiten, wie der Global Entrepreneur Monitor von 2015 zeigt.
In der Musikbranche wird immer viel geredet, aber wenig gemacht. Tess Rochholz
Die Zahlen beschreiben das Hier und Jetzt. Mit der Zukunft von Frauen im Musikbusiness beschäftigen sich einige Klubs und Initiativen, beispielsweise das von Tess Rochholz gegründete Netzwerk Music Industry Women. Im Zentrum der Aktivitäten steht laut Rochholz ein Paten-Programm, bei dem in der Musikbranche bereits erfolgreiche Frauen wie die Gründerin des Berliner Labels Snowhite Desiré J. Vach mit Berufsanfängerinnen zusammenkommen und Tipps geben. Rochholz will so mehr junge Frauen dazu motivieren, in der Branche Fuß zu fassen und Führungspositionen anzustreben.
Daneben gibt es diverse Frauen-Initiativen und Netzwerke im In- und Ausland, die sich eher der Nische als dem großen Ganzen annehmen. female:pressure ist so ein Netzwerk, das dem Missverhältnis zwischen weiblich und männlich besetzten Bands bei (Electro-)Festivals entgegenwirken will. Seit 1998 arbeiten die Mitglieder dort kontinuierlich an einer internationalen Datenbank von Musikerinnen aus der Electro-Szene und veranstalten mit dem Perspectives Festival ein Electro-Festival, auf dem hauptsächlich Künstlerinnen auftreten.
Ein ähnliches Ziel verfolgt das Leipziger Frauenfestival, das erstmals 2015 veranstaltet wurde und bei dem auch Bernadette La Hengst auf der Bühne stand.
Bernadette La Hengst
La Hengst steht auf einem dicken Flokati-Teppich, der den hohen Raum ihrer Berliner Altbauwohnung ein wenig dämmen soll, “wegen der Nachbarn”. Eine beachtliche Anzahl Instrumente macht den Raum zum Musikzimmer; mehrere Keyboards und Gitarren säumen den Teppich, Mikrofone, Kabel und Amps stehen herum, einzig vom Klavier gibt es nur ein Exemplar.
An der Wand hängt ein großes weißes Stoffbanner mit dem Schriftzug “Café Europa”, auf Deutsch und in arabischen Schriftzeichen. Ein Überbleibsel ihrer Reise nach Spanien und Marokko, wo die Musikerin ein neues Album aufgenommen hat, mit Spanierinnen und Spaniern und Marokkanern. Marokkanerinnen, die Musik machen, habe sie hingegen nicht getroffen – Frauen seien in der dortigen Musikszene quasi unsichtbar, erzählt La Hengst.
Wir wurden extrem als “Mädchenband” dargestellt. Bernadette La Hengst
Popfeminismus als Thema
Sie räumt noch ein wenig herum, stellt ein paar Gitarren vor die Kamera. Eine Frau, die Gitarre spielt, das ist die Botschaft. “Das war damals schon etwas Besonderes”, erinnert sie sich. Damals, das heißt Anfang der 90er, als La Hengst die Band Die Braut haut ins Auge gründete, die man heute der Hamburger Schule zuschreibt. Blumfeld, Die Sterne und Tocotronic waren ihre erfolgreichsten Vertreter, allesamt rein männlich besetzte Bands. Mit fünf Frauen an den Instrumenten war Die Braut Haut Ins Auge damals tatsächlich eine Ausnahme.
Bernadette La Hengst – Ich bin drüber weg (via Soundcloud)
Mittlerweile macht La Hengst solo Musik, Theater und den Popfeminismus zum Thema. Im Vergleich zu Zeiten der Hamburger Schule habe sich in der Indie-Szene in Sachen Gleichberechtigung nicht wirklich viel getan: noch immer sei es für Frauen schwer, sich in Musikzeitschriften durchzusetzen oder auf Festivals gebucht zu werden. Gerade deshalb sei es wichtig, sich mit anderen Frauen zu vernetzen, sich gegenseitig zu unterstützen – und die Angelegenheit in den Fokus zu rücken.
Frauen wie Bernadette La Hengst beherrschen und besitzen Equipment en masse. Schaut man sich aber die Popstars unserer Zeit an, steht den Instrumentalistinnen und Songschreiberinnen im Pop ein großes Heer an reinen Sängerinnen gegenüber. Man kann sich vorstellen, dass die Diskrepanz in den Geburtsstunden des Pops noch viel größer war. Doch wie in anderen Bereichen der Gesellschaft, hat es auch im Musikgeschäft Pionierinnen und Heldinnen benötigt, um am Status quo der Bandbesetzungen etwas zu ändern.
Frauen im Musikjournalismus
Man stelle sich dagegen mal folgenden Satz vor: „Die Pet Shop Boys sind ein Männerduo aus London“ Linus Volkmann auf kaput-mag.com
Dass die berühmt-berüchtigten guitar heroes meist männlich sind, liegt, wie die Musikwissenschaftlerin Sarah Schauberger darlegt, vorwiegend an den Verantwortlichen für solche Rankings: den Journalisten. Während der Gitarrenheld laut diesen Listen scheinbar männlich ist, hat der Musikjournalismus für Frauen an der Gitarre ein ganz eigenes Genre erfunden: die female guitarists. Und stehen bei einer Band ausschließlich Frauen auf der Bühne, wird gerne von einer Frauenband gesprochen.
Wie absurd so eine Kategorisierung ist, hat der Popjournalist Linus Volkmann vor einigen Monaten zum Thema gemacht. Ein FAZ-Autor hatte die Band Schnipo Schranke u.a. als Frauenduo bezeichnet, für Volkmann eines der Indizien dafür, wie sehr der Musikjournalismus in Deutschland von einer “Männersprache” geprägt ist, die Frauen in der Musik als Abweichung beschreibe.
Es fehlt an jungen Autorinnen
Begrifflichkeiten wie Frauenband lehnt auch Jennifer Beck ab. Als Redakteurin beim Pop-Kultur-Magazin Spex versucht Beck, vorgefertigte Kategorien generell zu vermeiden. Warum spiele es eine Rolle, ob die Musik von einem Mann oder einer Frau gemacht werde? Aber auch: “Warum muss ich denn zum Beispiel das Alter von einer Musikerin aufschreiben, wenn es eigentlich nichts übers Werk aussagt?”
Wenn über Künstlerinnen berichtet wird, dann häufig von älteren, weißen Männern Jennifer Beck, Spex-Redakteurin
Allerdings sei das nicht für jeden Autoren und jede Autorin selbstverständlich, immer wieder begegne ihr eine solche Sprache. Das liege auch an den Geschlechterverhältnissen im Musikjournalismus, glaubt Beck. Häufig habe sie Schwierigkeiten vor allem junge Autorinnen für einen Auftrag zu gewinnen. Wenn sie Frauen anspreche, seien diese viel zurückhaltender und kritischer. Liegt es also, wie schon die ehemalige Labelchefin Tess Rochholz vermutet hat, am fehlenden Selbstbewusstsein, dass es weniger Frauen als Männer in der Musikbranche nach oben schaffen?
Pop ist de facto kein weißer heterosexueller Mann. Pop ist bunt und Pop ist unisexuell. Und doch seien es, wie auch die Musikwissenschaftlerin Beate Flath feststellt, die Neigungen und Ansichten der Männer, die die Musikbranche dominieren. Die Labels würden auf bewährte Vermarktungsstrategien vertrauen und diese seien für weibliche Künstler erheblich eingeschränkter als für Männer. Es gelte oft immer noch: sex sells.
Frauen am Mischpult
“I’m not a female producer. I’m a producer.” Syd tha Kyd (Odd Future & The Internet)
Hand hoch: Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet hinter “Rapper’s Delight” von der Sugarhill Gang und “The Message” von Grandmaster Flash – zwei der ersten großen Raphits überhaupt – eine Frau steckt? Sylvia Robinson produzierte Anfang der Achtziger die beiden Songs und gründete mit ihrem Mann das Label Sugar Hill Records. Ähnlich macht es heute die Produzentin und Sängerin Syd Tha Kid beim amerikanischen Hip Hop-Kollektiv Odd Future, oder die Berlinerin Melbeatz, jahrelange Produzentin von Kool Savas. Aber mit dieser Rolle sind sie relativ allein auf weiter Flur. Hinter den riesigen Mischpulten in den Studios sitzen fast nie Frauen, genau wie an den Reglern vor den Bühnen.
Der Technikbereich ist bis heute eine klassische Männerdomäne. Das gilt insbesondere auch für das Feld der Tontechnik. Von den sozialversicherungspflichtig gemeldeten Tontechnikjobs ist laut einem Bericht des Deutschen Kulturrats 2013 nur jeder fünfte mit einer Frau besetzt gewesen.
Eine von ihnen ist Michaela Voigt. Sie ist seit beinahe 30 Jahren in der Veranstaltungsszene tätig. Frauen wie sie hätten es nicht einfach, sich durchsetzen. “Den Umgang muss man mögen”, meint Voigt. Die Wahl des Imperativs kommt in diesem Zusammenhang nicht von ungefähr. Denn wenn die meisten entscheidenden Positionen in einer Branche von einem Geschlecht dominiert werden, muss man sich anpassen, sonst fällt es schwerer, aufzusteigen, wie ein Bericht des Instituts für Berufsforschung belegt.
Auf & hinter der Bühne
Als Tontechnikerin gilt es, das Tempo und besonders den Humor auszuhalten. Michaela Voigt, Tontechnikerin
Michaela Voigt hat ihren Weg zur Tontechnikerin in Ansbach in Bayern begonnen. Im Teenageralter stand sie das erste Mal an den Reglern eines Mischpults. Von da an war sie angefixt. In der eher beschaulichen bayrischen Kleinstadt bot sich keine Ausbildungsmöglichkeit und beim Rundfunk wollte sie nicht Tontechnik lernen. Zu angestaubt kam ihr der Laden vor. Also ließ sie sich 1986 beim ersten privaten Tontechnik-Institut im deutschsprachigen Raum in München ausbilden. Nebenbei machte sie auch selbst Musik, spielte Gitarre, sang und gründete ihre eigene Band. Heute ist Voigt in der Veranstaltungsbranche tätig und bietet Tontechnik-Workshops exklusiv für Mädchen und junge Frauen an.
Damals wie heute sei die Veranstaltungsbranche sehr von Männern dominiert. Von denen müsse sie sich zwar bis heute immer wieder sexistische Witze anhören, berichtet Voigt, ihr werde als gestandene Tontechnikerin aber auch viel Respekt entgegengebracht.
Pop ist keine weiße heterosexuelle Frau
Pop ist kein weißer heterosexueller Mann – aber auch keine weiße heterosexuelle Frau. David Bowie war zwar weiß, nicht aber unbedingt hetero. Es benötigte Figuren wie ihn oder die Disco-Queen Amanda Lear, um im Laufe der Siebzigerjahre am Geschlechterverständnis in der Popwelt zu rütteln. Auf einmal hielt der Reiz des Androgynen Einzug und ebnete Künstlern wie Boy George oder Grace Jones den Weg zu Weltkarrieren.
Offen sprach man damals allerdings noch nicht über das Schwulsein, es wurde lediglich zur Schau gestellt und gefeiert. Die Geschichte mit der öffentlichen Toilette – George Michaels unfreiwilliges Outing – war 1998 noch ein Riesending. Zwar spielt heute das Geschlecht im Pop eine kleinere Rolle, aber Diversität definiert sich nicht nur über Sexualität.
Es braucht Vorbilder, um andere zu ermutigen, Pionierinnen, die vielen anderen den Weg bereiten. Es ist jedoch ein Unterschied, ob die Hillarys, Beyoncés und Helenes dieser Welt sich für die Sache der Frau einsetzen oder nur ein feministisches Image pflegen möchten – ob man für eine Gruppe spricht oder sie lediglich als Zielgruppe ansieht.
Keine falsche Bescheidenheit
Die Musikbranche unterscheidet sich da im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Bereichen nicht sonderlich. Allerdings bietet die Popkultur einen besonderen Resonanzraum für feminine Themen. Die Teilhabe am Diskurs, am Produzieren und Verbreiten ist durch soziale Netzwerke, digitale Vertriebswege und erschwingliches Computer-Equipment so unkompliziert möglich wie nie zuvor.
Und so tauchen nach und nach immer mehr weibliche oder Transgender-Musiker und Musikerinnen in den Bestenlisten auf, eher in den progressiven Diskurs-Magazinen wie der Spex – und sogar beim lange Zeit als Altherren-Rock-Magazin verrufenen Rolling Stone stellte 2015 eine Frau das “Album des Jahres“: die Multiinstrumentalistin und Produzentin Julia Holter.
Ihre Meinung zum Thema
Hat der heterosexuelle Pop-Mann“ausgedient“?
... it’s not about equal rights, it’s about how we think. We have to reshape our own perception of how we view ourselves. Beyoncé - aus der Doku ‘Life is but a dream’
Der Pop-Theoretiker und Autor Jens Balzer sieht in seinem jüngsten Buch “Pop. Ein Panorama der Gegenwart” sogar nicht nur den von Männern beherrschten Rock als Auslaufmodell, der am Anfang des Jahrtausends noch einmal mit Bands wie The Strokes oder The Libertines Erfolg hatte – der heterosexuelle Pop-Mann überhaupt hätte ausgedient. Stattdessen werde der Pop der Gegenwart von Frauen wie Adele, Rihanna, Lana Del Rey oder Helene Fischer geprägt.
Zwar sind viele der aktuellen Superstars Frauen, aber eine dominante Phase in den Charts ist längst noch keine weibliche Übernahme des gesamten Business. Viele andere Bereiche der Musikbranche sind immer noch fest in männlicher Hand – seien es Redaktionen, Studios und Mischpulte oder Labels – auch in der Indie-Szene. Die Revolution der Riot Grrrls („Revolution Girl Style Now“) ist eher ein langsamer, gesamtgesellschaftlicher Prozess als ein schneller Umbruch. Allerdings können die Popkultur und der gesamte Kulturbereich bei diesem Wandel ein Motor sein, weil sie die Freiheiten und die Fähigkeiten besitzen, Ungleichheit anzusprechen, anzuprangern, ein Bewusstsein für Missstände zu schaffen – und so schlussendlich die Gesellschaft zu verändern.